Blei galt lange Zeit vor allem als Gefahr für Kinder. Intelligenzminderung, Entwicklungsstörungen und akute Vergiftungen sind seit Jahrzehnten bekannt. Doch aktuelle Forschung zeigt: Auch Erwachsene sind durch chronische Bleibelastung erheblich gefährdet – insbesondere ihr Herz-Kreislauf-System.
Im Folgenden fassen wir zentrale Erkenntnisse zusammen und zeigen, warum dieses Umweltgift bis heute eine unterschätzte Ursache von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Bluthochdruck ist.
Kein sicheres Niveau: Schon geringe Mengen sind gefährlich
Früher sprach man von „Bleivergiftung“ erst bei sehr hohen Konzentrationen. Heute ist klar: Es gibt keinen sicheren Grenzwert.
- Bereits niedrige Blutbleispiegel stehen mit erhöhtem Risiko für koronare Herzkrankheit, Niereninsuffizienz und kognitive Einbußen in Zusammenhang.
- Eine globale Analyse ergab, dass 2019 rund 5,5 Millionen Todesfälle an Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf niedrige Bleibelastungen zurückzuführen waren – ein alarmierendes Ausmaß, das in der Kardiologie bislang kaum berücksichtigt wird.
- Besonders kritisch: Die Risikokurve beginnt schon bei minimaler Belastung und steigt kontinuierlich an – ohne Schwelle.
Historische Belastung und globale Verschiebung
Bis in die 1970er-Jahre war Blei in Benzin weit verbreitet. Damals lag der mittlere Blutbleispiegel in den USA bei 13–15 µg/dL – Werte, die wir heute nur noch bei beruflich Exponierten finden.
- Mit dem Verbot von verbleitem Benzin sank die Belastung um über 95 %. Parallel ging die Rate der Herzinfarkte deutlich zurück.
- Doch die Industrie verlagerte den Absatz in Schwellenländer. Heute tritt der Großteil der bleibedingten Krankheitslast in Asien, Afrika und Lateinamerika auf.
Deutschland und Europa haben strengere Regelungen, doch auch hier gibt es versteckte Quellen.
Unerwartete Quellen: Von Ayurveda bis Flugzeugen
Viele Menschen sind überrascht, wo sie Blei aufnehmen können:
- Ayurvedische Medikamente: Nicht selten enthalten sie stark erhöhte Bleikonzentrationen. Fallberichte zeigen Blutbleispiegel von 70 µg/dL nach Einnahme solcher Präparate.
- Kleinflugzeuge: Während Linienflugzeuge längst bleifreien Treibstoff nutzen, setzen viele Sport- und Privatflugzeuge weiterhin verbleiten Kraftstoff ein. Kinder, die in Flughafennähe wohnen, haben im Schnitt 10–25 % höhere Blutbleispiegel.
- Zigarettenrauch: Tabak, der auf bleibelasteten Böden wächst, führt dazu, dass Raucher 20 % höhere Blutbleispiegel haben als Nichtraucher. Auch Passivraucher sind betroffen.
- Leitungswasser: Alte Bleirohre können bis heute die Trinkwasserqualität beeinträchtigen – in den USA ein zentrales Problem, aber auch in Europa noch nicht überall beseitigt.
Das Reservoir im Knochen – ein Lebenszeitrisiko
Etwa 95 % des aufgenommenen Bleis lagert sich in unseren Knochen ab. Es wird nur langsam wieder freigesetzt, vor allem in Phasen erhöhter Knochenabbaurate:
- Bei Frauen steigt der Blutbleispiegel um etwa 30 %, wenn sie in die Menopause kommen. Ursache ist die Abnahme der Knochendichte.
- Während Schwangerschaften wird Blei auf den Fötus übertragen – ein Mechanismus, der die Belastung der Mutter senken, aber beim Kind Schäden verursachen kann.
- Das Zusammenspiel von Östrogen und Blei könnte erklären, warum Frauen im reproduktiven Alter einen gewissen Schutz vor Herzinfarkten haben, dieser jedoch nach den Wechseljahren verloren geht.
Pathophysiologie: Wie Blei das Herz schädigt
Blei wirkt auf mehreren Ebenen toxisch für das Herz-Kreislauf-System:
- Erhöht Dyslipidämien → ungünstige Fettstoffwechselstörungen.
- Schädigt das Endothel der Gefäßwände → fördert Atherosklerose.
- Steigert Thrombose-Neigung → erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
- Fördert Bluthochdruck durch direkte vaskuläre Effekte.
- Kognitive Einschränkungen sind eine zusätzliche Langzeitfolge, die das Gesamtkrankheitsrisiko verstärkt.
Damit reiht sich Blei ein in die Liste unsichtbarer, aber hoch relevanter Umweltfaktoren, ähnlich wie Luftverschmutzung, Mikroplastik und „Forever Chemicals“ (PFAS).
Chelattherapie – eine Lösung?
Zwei große Studien (TACT-Studienreihe) haben Chelattherapie untersucht. Ergebnisse:
- Eine 18 %ige Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei Hochrisikopatienten.
- Effekte besonders sichtbar bei Diabetikern, aber nicht eindeutig signifikant.
- Problem: Blei aus dem Blut wird entfernt, im Knochen verbleibt der Großteil – langfristig nur begrenzter Nutzen.
Die bessere Lösung: Expositionsquellen vermeiden, statt nachträglich zu behandeln.
Prävention: Was können Politik und Individuen tun?
Gesellschaftliche Maßnahmen
- Austausch alter Bleirohre in Wasserleitungen (hoher Kosten-Nutzen-Faktor: 1 € Investition → 35 € Rückfluss an gesellschaftlichem Nutzen).
- Verbot verbleiter Treibstoffe auch in Kleinflugzeugen.
- Strengere Kontrolle von Nahrungsergänzungsmitteln und Importen aus Ländern mit weniger Regulierung.
- Ausbau von Monitoring-Programmen zur frühzeitigen Erkennung erhöhter Belastungen.
Individuelle Maßnahmen zur Herzgesundheit
Eric Topol fasst es evidenzbasiert in 10 Punkten zusammen:
- Regelmäßig bewegen – Kombination aus Ausdauer und Krafttraining.
- Antientzündliche Ernährung – mediterran, pflanzenbasiert, Omega-3-reich.
- Gesundes Gewicht halten – Adipositas ist ein Treiber für Herzkrankheiten.
- Metabolisches Syndrom vermeiden – Blutzucker, Bauchumfang, Triglyzeride kontrollieren.
- Blutdruck überwachen – Ziel: ≤ 120/80 mmHg.
- Genetisches Risiko kennen – z. B. durch Polygenic Risk Score.
- Blutfette regelmäßig prüfen – LDL, ApoB, Lp(a).
- Umweltgifte reduzieren – Luft- und Wasserfilter, Plastik meiden.
- Nicht rauchen – auch Passivrauch ernst nehmen.
- Guter Schlaf – Regelmäßigkeit und Qualität stärken Herz und Gefäße.
Fazit: Umweltmedizin als Herzschutz
Blei ist kein Relikt vergangener Zeiten, sondern ein lebenslang wirksames Gift, das Herz und Gefäße nachhaltig belastet. Gemeinsam mit Luftverschmutzung, Mikroplastik und PFAS gehört es zu den großen, aber oft übersehenen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Während die klassischen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Cholesterin, Diabetes) weiterhin im Fokus stehen müssen, ist es höchste Zeit, Umweltfaktoren in die Präventionsmedizin zu integrieren.
Denn Herzgesundheit hängt nicht nur von unserem Lebensstil, sondern auch von unserer Umweltpolitik ab.