NAD⁺ – Hoffnungsträger im Alterungsprozess oder riskante Modeerscheinung?

In den letzten Jahren hat ein kleines Molekül große Aufmerksamkeit in der medizinischen Forschung erregt: Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD⁺). Als zentrales Coenzym im Energiestoffwechsel scheint NAD⁺ nicht nur ein Schlüsselspieler in der zellulären Gesundheit zu sein, sondern auch ein möglicher Hebel gegen altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer, COPD oder mitochondriale Dysfunktionen. Doch wie wirksam – und wie sicher – ist die therapeutische Gabe von NAD⁺-Vorstufen wie Nicotinamid oder Nicotinamid-Ribosid (NR) wirklich?

Klinische Anwendungen: Hoffnung in vielen Bereichen

Studien zeigen, dass eine Supplementierung mit NAD⁺-Vorstufen in verschiedensten klinischen Kontexten Anwendung findet:

  • Alzheimer-Krankheit: In der NEAT-Studie (Ketron et al., 2025) wurde hochdosiertes Nicotinamid (Vitamin B3) in der Frühphase der Alzheimer-Krankheit getestet. Obwohl es gut vertragen wurde, zeigte sich nur bei einem kleinen Teil der Probanden eine ausreichende Aufnahme ins ZNS. Nur diese wiesen auch eine signifikante Reduktion des Alzheimer-Biomarkers pTau231 auf – was auf eine begrenzte Bioverfügbarkeit und starke metabolische Inaktivierung (z.B. zu Methylnicotinamid) hinweist.
  • COPD: Eine dänische Studie (Norheim et al., 2024) fand, dass Nicotinamid-Ribosid (NR) die Entzündungsmarker in den Atemwegen deutlich senken konnte – insbesondere IL-8 – und dies über mehrere Wochen hinaus.
  • Mitochondriale Erkrankungen: In der KL1333-Studie (Pizzamiglio et al., 2025) zeigte ein NAD⁺-modulierendes Molekül erste Erfolge bei Patienten mit mitochondrialen Erkrankungen – mit Verbesserungen in Funktion und Fatigue.
  • Krebsüberlebende mit Prädiabetes: Ein Pilotprojekt (Bhandari et al., 2024) kombinierte NR-Supplementierung mit Bewegungstherapie bei ehemaligen Krebspatienten. Die Intervention war durchführbar und sicher, doch die klinischen Effekte auf Glukosestoffwechsel und Muskelgesundheit blieben unklar.
  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK): In der NICE-Studie (McDermott et al., 2024) verbesserte NR die Gehstrecke in einem 6-Minuten-Walktest deutlich – ein vielversprechender Hinweis auf vaskuläre und muskuläre Effekte.
  • Ältere Erwachsene: Eine Studie mit β-Nicotinamid-Mononukleotid (NMN) konnte bei älteren Menschen NAD⁺-Spiegel erhöhen, die Gehgeschwindigkeit erhalten und die Schlafqualität verbessern – ohne relevante Nebenwirkungen (Morifuji et al., 2024).

NAD⁺ durch Bewegung – der natürliche Weg

Interessanterweise zeigen Daten aus Deutschland (Walzik et al., 2025), dass Sport allein in der Lage ist, NAD⁺-Stoffwechsel in Immunzellen anzukurbeln – durch Hochregulation von Enzymen wie NAMPT. Sowohl HIIT als auch moderates Ausdauertraining hatten vergleichbare Effekte. Eine natürliche Alternative zur Supplementierung?

Risiken und offene Fragen

Trotz der vielversprechenden Ansätze bleiben mehrere Fragen offen:

  1. Bioverfügbarkeit: Nicht bei allen Teilnehmenden gelangt Nicotinamid in wirksamer Menge ins ZNS. Viele metabolisieren es zu inaktiven Formen.
  2. Langzeitsicherheit: Bisherige Studien sind meist kurz (6 bis 12 Wochen). Die Langzeitwirkungen auf Krebsrisiko, Epigenetik oder Leberstoffwechsel sind unklar.
  3. Wechselwirkungen & Kontraindikationen: Besonders bei multimorbiden Patienten fehlen Daten zu Interaktionen mit anderen Medikamenten.
  4. Kommerzielle Interessen: Einige Studien wurden von Firmen finanziert, die NAD⁺-Produkte vermarkten – das Risiko von Bias ist real.

Fazit: Zwischen Hoffnung und Vorsicht

NAD⁺ und seine Vorstufen wie Nicotinamid oder NR bieten spannende Ansätze für die Therapie altersbedingter Erkrankungen und chronischer Entzündungen. Die bisherigen Daten zeigen gute Verträglichkeit und erste Effekte, insbesondere bei Menschen mit reduziertem NAD⁺-Stoffwechsel.

Doch: Ohne gezielte Diagnostik und Langzeitdaten ist eine pauschale Einnahme nicht zu empfehlen. Wer seine NAD⁺-Spiegel natürlich erhöhen möchte, sollte lieber auf bewährte Methoden wie Sport, ausreichenden Schlaf, und eine ausgewogene Ernährung setzen.

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