Künstliche Intelligenz beim Pankreaskarzinom – Chancen für frühere Diagnose und bessere Prognose

Aktuelle klinische Problematik des Pankreaskarzinoms

Das Pankreaskarzinom gehört zu den aggressivsten Tumorerkrankungen mit einer extrem schlechten Prognose. Weltweit gab es im Jahr 2020 rund 495.000 Neuerkrankungen bei etwa 466.000 Todesfällen – fast so viele Menschen sterben an diesem Krebs, wie neu daran erkranken. Entsprechend liegt die 5-Jahres-Überlebensrate je nach Statistik nur bei etwa 10–11 %. In den USA ist das Pankreaskarzinom bereits die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache und Prognosen zufolge könnte es bis 2030 zu den führenden Krebstodesursachen gehören. Hauptgrund für die hohe Sterblichkeit ist die späte Diagnosestellung: In frühen Stadien verursacht das Pankreaskarzinom kaum spezifische Symptome, sondern meist unspezifische Beschwerden wie Gewichtsabnahme, Müdigkeit, Verdauungsstörungen oder Rückenschmerzen. Daher wird der Tumor oft erst entdeckt, wenn bereits ein fortgeschrittenes, unheilbares Stadium vorliegt. So haben lediglich etwa 15–20 % der Patient:innen zum Zeitpunkt der Diagnose noch einen auf das Pankreas begrenzten, operablen Tumor. Die allermeisten Fälle (~80–85 %) sind bereits lokal fortgeschritten oder metastasiert, was kurative Therapieoptionen ausschließt. Folglich sprechen Standardtherapien (wie Chemo- oder Immuntherapie) in diesen späten Stadien meist unzureichend an. All diese Faktoren führen zu den dismalen Überlebensraten dieser Erkrankung. Um die Prognose grundlegend zu verbessern, ist daher eine frühere Diagnose entscheidend – idealerweise so früh, dass der Tumor noch resezierbar ist und kurativ behandelt werden kann. Patienten mit Tumoren im Stadium I überleben signifikant länger als Patienten mit fortgeschrittenen Stadien. Die Prämisse lautet: Wird das Pankreaskarzinom früh erkannt, können mehr Betroffene einer potenziell kurativen Behandlung (Operation) zugeführt werden, was die Überlebenschancen deutlich erhöht.

Rolle der KI in Diagnostik und Prädiktion von Pankreaskarzinomen

Angesichts der genannten Probleme rückt die Künstliche Intelligenz (KI) als neues Werkzeug in den Fokus. KI-Methoden (insbesondere Machine Learning und Deep Learning) sind in der Lage, aus großen heterogenen Datenmengen Muster zu erkennen, die für menschliche Experten oft nicht offensichtlich sind. In der Onkologie gibt es vielfältige Ansätze, KI zu nutzen – von der Bildanalyse bis zur Auswertung elektronischer Patientenakten. Im Folgenden beleuchten wir Anwendungsfelder der KI speziell für das Pankreaskarzinom:

KI in der bildgebenden Diagnostik (CT, EUS, MRT, PET)

Radiologische Bildgebung ist zentral in der Diagnose des Pankreaskarzinoms. Verfahren wie die kontrastverstärkte Computertomographie (CT) oder Endosonographie (EUS) sind Standard für Patienten mit Verdacht auf Pankreastumor. KI-gestützte Bildanalyse – oft in Form von radiomics (dem Extrahieren zahlreicher quantitativer Bildmerkmale) – kann die Interpretation solcher Aufnahmen unterstützen. So wurde in Studien gezeigt, dass KI ein Pankreaskarzinom auf CT-Bildern mit sehr hoher Treffsicherheit von gesundem Gewebe unterscheiden kann. Ein Modell erzielte beispielsweise eine Sensitivität von 100 % und Spezifität von 98,5 % in der Detektion von PDAC auf CT-Aufnahmen. Auch bei der Endosonographie kann Deep Learning helfen: Ein in die EUS integriertes CNN-System konnte in Echtzeit maligne von benignen Läsionen im Pankreas unterscheiden und die diagnostische Sicherheit der Endoskopiker erhöhen. Dies ist bemerkenswert, da die EUS selbst bereits eine hohe Grundgenauigkeit besitzt (ca. 85–93 % Sensitivität, deutlich höher als CT).

Ein großer Vorteil der KI in der Bildgebung ist ihre Fähigkeit, subtilste Veränderungen zu erkennen. Früheste tumorbedingte Gewebeveränderungen im Pankreas sind oft sehr diskret und können retrospektiv bis zu 34 Monate vor der eigentlichen Diagnose nachgewiesen werden. KI-Systeme könnten solche „versteckten“ Hinweise in Bilddaten aufspüren und so eine Diagnose deutlich früher stellen, als es mit bloßem Auge möglich wäre. Anders als ein Mensch kann ein Algorithmus tausende Pixel systematisch auswerten, ohne Ermüdung oder Wahrnehmungsgrenze, und innerhalb von Sekunden ein Ergebnis präsentieren. Die Geschwindigkeit und Objektivität der KI sind im Vorteil – ein Befund kann in unter einer Minute automatisiert erfolgen.

Neben der Tumorerkennung beschäftigt sich die Forschung auch mit dem Aufspüren von Vorläuferläsionen im Pankreas mittels KI. Beispielsweise wurde eine Algorithmus-Pipeline (nnU-Net) entwickelt, um in CT-Scans automatisch zystische Pankreasläsionen (wie IPMN – intraduktale papillär-muzinöse Neoplasien) zu detektieren. Solche Zysten gelten als potenzielle Präkanzerosen. Eine frühzeitige Identifikation und Überwachung könnte ermöglichen, bevor sich daraus ein invasiver Tumor entwickelt, einzugreifen. Insgesamt zeigt sich, dass KI-Systeme in CT, MRT, EUS bis hin zu PET/CT bereits heute beachtliche Ergebnisse in der Detektion und Charakterisierung von Pankreasläsionen erzielen. Die Kombination aus kontrastreicher moderner Bildgebung und der Mustererkennungskraft von KI könnte perspektivisch die radiologische Diagnostik fundamental erweitern und mehr Frühstadien zutage fördern, die sonst übersehen würden.

KI in der digitalen Pathologie

Auch die histopathologische Diagnose könnte durch KI an Präzision gewinnen. In der digitalen Pathologie werden Gewebeschnitte hochauflösend eingescannt (Whole Slide Imaging). Mithilfe von Deep-Learning-Algorithmen lassen sich diese Scans analysieren, um Tumorzellen oder atypische Strukturen automatisiert zu erkennen. KI-Modelle können digitale histopathologische Schnitte auswerten und dabei die Genauigkeit, Reproduzierbarkeit und Effizienz der Diagnose verbessern. Gerade subtile morphologische Merkmale – z.B. die Unterscheidung eines gut differenzierten Adenokarzinoms von einer chronischen Pankreatitis – könnten durch trainierte Algorithmen objektiviert werden. Die Computer Vision vermag kleinste Pixelmuster zu identifizieren, die mit menschlichem Auge schwer konsistent zu beurteilen sind.

Ein weiterer Vorteil liegt in der Standardisierung: Die KI beurteilt nach den gleichen Kriterien, wodurch interobserver-Variabilitäten verringert werden können. Zudem ist es möglich, dass Algorithmen neuartige mikroskopische Muster entdecken, die prognostische Bedeutung haben (Stichwort: computational biomarkers). Erste Arbeiten nutzen Deep Learning auf histologischen Pankreasschnitten, um etwa Tumorgrading oder molekulare Subtypen vorherzusagen, was in Zukunft die pathologische Befundung anreichern könnte. Insgesamt gilt: Die Kombination aus erfahrenem Pathologen und KI-Assistenz verspricht eine schnellere und objektivere Diagnosesicherung am Gewebe. Dies könnte z.B. in der Schnellschnittdiagnostik während einer Operation oder bei der Begutachtung von Biopsien helfen, keine malignen Zellen zu übersehen.

Integration klinischer Daten und elektronischer Gesundheitsakten (EHR)

In der modernen Medizin fallen Unmengen an klinischen Daten an – Laborwerte, Vitalparameter, Anamnese, Medikation, Verlaufsdokumentationen etc. Diese elektronischen Gesundheitsakten (EHR) bergen wertvolle Informationen, die jedoch in ihrer Fülle oft ungenutzt bleiben. KI bietet hier die Chance, Big Data im klinischen Kontext auszuwerten. Durch maschinelles Lernen können longitudinale Patientendaten systematisch nach Mustern durchsucht werden, die auf ein erhöhtes Risiko für Pankreaskrebs hindeuten. So lassen sich etwa Veränderungen über die Zeit (z.B. schleichender Gewichtsverlust, bestimmte Laborkonstellationen oder Symptomkombinationen) erkennen, die frühe Warnsignale sein könnten.

Der zunehmende Einsatz von EHR, die Verfügbarkeit umfangreicher Gesundheitsdaten und der Fortschritt in der Rechnerleistung haben KI zu einem idealen Werkzeug gemacht, um solche versteckten Zusammenhänge aufzudecken. Beispielsweise können Vorhersagemodelle aus Krankenakten erstellt werden, die identifizieren, welche Patient:innen ein signifikant erhöhtes Risiko haben. In den letzten Jahren wurden tatsächlich mehrere Prognosemodelle entwickelt, die auf EHR-Daten basieren. Insbesondere bei Personen mit neu aufgetretenem Diabetes mellitus (einem möglichen Frühsymptom von Pankreaskarzinom, siehe unten) bieten elektronische Verlaufsdaten eine Grundlage, um diejenigen herauszufiltern, deren Diabetes auf einen Tumor zurückzuführen sein könnte. Hierbei fließen demografische Angaben, Laborparameter, Begleiterkrankungen und Symptome in komplexe Algorithmen ein, um eine Risikoberechnung zu erstellen.

Ein Beispiel: In Minnesota (USA) wurde ein KI-Modell für Patienten mit Neudiabetes entwickelt, das Alter, Gewichtsentwicklung und Blutzuckerwerte berücksichtigte. Dadurch konnten Personen identifiziert werden, die ein 4,5%iges 3-Jahres-Risiko hatten, in absehbarer Zeit an Pankreaskrebs zu erkranken (mit einer Güte von AUC ~0,87, Sensitivität 78 %, Spezifität 80 %). Ein anderes Modell aus Großbritannien, das zusätzliche Faktoren wie BMI-Verlauf, Raucherstatus, bestimmte Medikamente und Laborwerte einbezog, fand eine Untergruppe mit etwa 5 % Risiko innerhalb von 3 Jahren – allerdings erkannte dieses strenge Modell nur rund 11 % der tatsächlich Erkrankten (extrem hohe Spezifität von ~99 % bei geringer Sensitivität). Diese Beispiele zeigen zwei Dinge: Erstens kann die Integration von EHR-Daten mittels KI dabei helfen, aus der Allgemeinbevölkerung diejenigen mit einem auffälligen Risikoprofil herauszufiltern. Zweitens stehen solche Modelle aber noch vor Herausforderungen, da sie entweder viele Kranke übersehen oder aber – wenn empfindlicher eingestellt – zu viele Fehlalarme generieren. Die bisherigen EHR-Risikorechner für Pankreaskarzinom zeichnen sich tendenziell durch hohe Spezifitäten bei begrenzter Sensitivität aus. Nichtsdestotrotz ist dies ein sehr aktives Forschungsfeld. Langfristig könnten klinische Entscheidungssysteme entstehen, die Ärzte z.B. warnen, wenn ein Patient in den Akten gewisse Risiko-Konstellationen erfüllt, und so eine weiterführende Abklärung (Bildgebung etc.) anstoßen.

KI-basierte Risikostratifizierung

Risikostratifizierung bedeutet im Kontext des Pankreaskarzinoms vor allem, Hochrisikopersonen zu identifizieren, die von intensiver Früherkennung oder Prävention profitieren würden. Neben den klinischen Score-Modellen (siehe oben) eröffnet KI hier neue Möglichkeiten, indem sie verschiedenste Einflussfaktoren kombiniert. KI-Algorithmen haben sich im Gesundheitswesen bereits als hilfreiches Instrument zur Risikostratifizierung und Patientenselektion bewiesen. Speziell für Pankreaskrebs erwartet man, dass KI-gestützte Ansätze die Vorsorge revolutionieren könnten: Obwohl ein allgemeines Screening der Bevölkerung aus Kostengründen und wegen der niedrigen Inzidenz nicht sinnvoll erscheint, könnte die Identifizierung vulnerabler Subgruppen mit hohem Risiko eine frühere Intervention ermöglichen.

In Praxis heißt das: KI könnte z.B. jene 1–2 % der Menschen mit neuauftretendem Diabetes herausfiltern, bei denen der Diabetes ein paraneoplastisches Frühsymptom eines Pankreastumors ist (und nicht nur ein gewöhnlicher Typ-2-Diabetes). Diese kleine Gruppe ließe sich dann gezielt weiter abklären (etwa mittels bildgebendem Screening), ohne die breite Masse unnötig zu belasten. Ebenso ließen sich Personen mit schweren familiären Vorbelastungen, bestimmten genetischen Mutationen oder multiplen Risikofaktoren mittels KI-Risikorechner identifizieren und stratifizieren. Die Nutzung von KI als Werkzeug zur Risikoabschätzung hat das Potenzial, die diagnostische Strategie zu verändern – weg von der reaktiven hin zu einer proaktiven Medizin. Erste Studien weisen darauf hin, dass solche KI-Modelle Ärzten bereits heute bei klinischen Prognosen und interpretationsbedürftigen Befunden (z.B. Bildanalyse) von Nutzen sind. Dennoch muss betont werden, dass die Verlässlichkeit dieser Risikoscores verbessert werden muss, bevor sie Eingang in Leitlinien und klinische Routine finden. Hierzu sind vor allem umfangreiche prospektive Validierungen nötig.

Frühdiagnostik und relevante Biomarker

Ein zentrales Feld der Früherkennung ist die Suche nach Biomarkern – also nach messbaren Indikatoren (im Blut, Gewebe oder anderen Körperflüssigkeiten), die auf einen beginnenden Tumor hinweisen. Für das Pankreaskarzinom wird seit Jahrzehnten das Tumormarker-Glykoprotein CA 19-9 genutzt. CA 19-9 ist bei vielen Patient:innen mit Pankreastumor erhöht und korreliert oft mit dem Tumorverlauf. Allerdings ist CA 19-9 als Screeningmarker nur eingeschränkt geeignet: Die mittlere Sensitivität liegt bei etwa 79 %, die Spezifität bei ~80 %. Vor allem im Frühstadium kann der Marker normal sein; umgekehrt kann er auch durch gutartige Erkrankungen (z.B. Pankreatitis, cholestatische Leberkrankheiten) erhöht sein, was zu falsch-positiven Ergebnissen führt. Entsprechend reicht CA 19-9 alleine nicht aus, um frühe, noch behandelbare Karzinome zuverlässig zu detektieren. Bislang fehlt ein ausreichend sensitiver und spezifischer Bluttest für das Pankreaskarzinom. Die niedrige Inzidenz der Krankheit macht dies besonders herausfordernd, da ein Marker extrem wenige „Nadeln im Heuhaufen“ erkennen müsste, ohne massenhaft Fehlalarm zu schlagen.

Aus diesem Grund wird intensiv an neuen Biomarkern geforscht, oft mit KI-Unterstützung bei der Analyse komplexer Datensätze. Im Gespräch sind verschiedene Ansätze: So werden Proteinsignaturen im Blut mittels Massenspektrometrie untersucht, außerdem metabolische Marker, zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA), exosomale Marker (Exosomen sind kleine Vesikel, die Tumorzellen ins Blut abgeben), zirkulierende Tumorzellen und microRNAs, um nur einige zu nennen. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass bestimmte Exosomen-Oberflächenproteine (etwa GPC1, EpCAM, HER2) im Blut von Pankreaskrebspatienten gehäuft auftreten und mit KI-Algorithmen zuverlässig von gesunden Proben unterschieden werden können. Auch Muster in der Fragmentierung zellfreier DNA im Blut wurden mittels Machine Learning analysiert, um frühe Tumoren zu identifizieren. Die Kombination solcher Liquid Biopsy-Marker mit KI ist vielversprechend, da hier zahllose molekulare Parameter simultan ausgewertet werden können. Allerdings stehen valide, klinisch einsetzbare Marker noch aus: Derzeit ist kein Biomarker zur Früherkennung des Pankreaskarzinoms für die Routine zugelassen. Viele Kandidaten zeigen in Studien Potenzial, müssen aber erst in großen Kollektiven validiert werden. Eine Herausforderung ist die enorme biologische Heterogenität von Pankreastumoren – es ist unwahrscheinlich, dass ein einzelner Marker alle frühen Tumoren erfasst. Wahrscheinlicher ist, dass es auf Panels aus mehreren Biomarkern hinauslaufen wird, die gemeinsam mit klinischen Parametern genutzt werden. Auch sogenannte synthetische Biomarker werden diskutiert – hierbei würde man dem Körper spezifische Sonden oder Probes verabreichen, die Tumoren aktiv aufspüren und ein Signal liefern (z.B. ein fluoreszierendes Abbauprodukt im Urin). Solche Konzepte sind noch Vision, könnten aber in Zukunft die Detektion erleichtern, indem sie tumorspezifische Aktivitäten sichtbar machen.

Kombination von Biomarkern und Bildgebung

Statt isoliert nach einzelnen Markern zu suchen, verfolgen viele Forscher einen multimodalen Ansatz: Die Kombination verschiedener Testverfahren könnte die diagnostische Genauigkeit erheblich steigern. Beispielsweise lassen sich radiologische Bilddaten mit Biomarker-Informationen verknüpfen und durch KI gemeinsam auswerten. Der Gedanke dahinter ist, dass Bildgebung und Laborbefunde sich gegenseitig ergänzen – die Schwächen der einen Methode könnten durch die Stärken der anderen ausgeglichen werden. So mag ein kleiner Tumor im Bild noch unauffällig sein, gibt aber vielleicht schon minimale Spuren ins Blut ab, oder umgekehrt. KI bietet die Möglichkeit, solche heterogenen Datenquellen zusammenzuführen und komplexe Muster zu erkennen, die weder allein im CT noch allein im Blutbild offensichtlich wären.

Ein beeindruckendes Beispiel lieferte kürzlich eine Studie, in der CT-Bildmerkmale und Serum-Biomarker gemeinsam durch ein KI-Modell ausgewertet wurden. Dabei gelang es, Pankreaskarzinome von chronischer Pankreatitis – einer diagnostischen Herausforderung – mit sehr hoher Genauigkeit zu unterscheiden: Das Modell erreichte eine Sensitivität von ~94,6 % und Spezifität von ~93,3 %. Auch zur Tumorfrüherkennung könnte eine solche Kombination dienen: Denkbar ist ein zweistufiges Screening, bei dem zuerst ein Bluttest (oder ein KI-Risikoscore aus der Akte) diejenigen Patienten identifiziert, die dann gezielt einer hochauflösenden Bildgebung zugeführt werden. Umgekehrt könnten auffällige radiologische Befunde durch biomarkerbasierte Tests abgesichert werden, bevor man invasive Schritte unternimmt. Multimodale KI-Modelle, die klinische Daten, Laborwerte, Genomik und Bildgebung integrieren, gelten als vielversprechender Weg, die Diagnose präziser und personalisierter zu machen. Zwar steckt die Forschung hierzu noch in den Kinderschuhen, doch erste Resultate – wie das oben genannte Beispiel – demonstrieren das große Potenzial. In Zukunft könnten KI-basierte Entscheidungsbäume sowohl Bild- als auch Blutinformationen berücksichtigen und dem Arzt eine Wahrscheinlichkeitsaussage geben, ob ein Patient Krebs hat, lange bevor dieser konventionell diagnoszierbar wäre.

Screening bei Hochrisikopatient:innen

Da ein allgemeines Früherkennungsprogramm (z.B. Massenscreening mit CT für alle über 50) weder praktikabel noch kosteneffektiv ist, konzentrieren sich Früherkennungsstrategien auf definierte Hochrisikogruppen. International wird empfohlen, Personen mit deutlich erhöhtem Risiko für ein Pankreaskarzinom regelmäßig zu überwachen. Zu diesen Risikogruppen zählen vor allem:

  • Familiäre Belastung / erbliche Prädisposition: Menschen mit einer Familienanamnese von Pankreaskarzinomen (insb. wenn zwei oder mehr erstgradig Verwandte betroffen sind) sowie Personen mit genetischen Syndromen, die mit Pankreaskrebs assoziiert sind. Dazu gehören z.B. hereditäre Pankreaskarzinome in BRCA2- oder PALB2-Mutationsfamilien, Lynch-Syndrom (HNPCC), familiäres atypisches Mole-Melanom-Syndrom (FAMMM) mit p16-Mutation, Peutz-Jeghers-Syndrom und Li-Fraumeni-Syndrom. In solchen Konstellationen kann das Lebenszeitrisiko erheblich erhöht sein (teilweise >40 % in bestimmten Familien). Deshalb wird in Hochrisikofamilien ab einem definierten Alter (meist 10 Jahre vor dem frühesten Krebsalter in der Familie, oft ab ~40 J.) eine Vorsorgeuntersuchung des Pankreas empfohlen.
  • Zystische Pankreasläsionen: Patienten mit nachgewiesenen zystischen Neoplasien des Pankreas – vor allem intraduktale papillär-muzinöse Neoplasmen (IPMN) und mucinöse Zystadenome – gelten als gefährdet, da diese Zysten Vorstufen eines Adenokarzinoms sein können. Nicht jede Zyste entartet, doch bestimmte Hochrisikomerkmale (z.B. Hauptgang-IPMN, große oder schnell wachsende Zysten, begleitende zytologische Atypien) erfordern engmaschige Kontrollen oder prophylaktische Operation. Hier kann KI ggf. helfen, aus Bildgebung und Zystenfluid-Analysen das individuelle Entartungsrisiko besser abzuschätzen.
  • Neubeginn eines Diabetes mellitus im Erwachsenenalter: Ein neuer Diabetes (>50 Jahre) ohne sonstige Erklärung kann ein Frühsymptom von Pankreaskrebs sein. Etwa 1–2 % der Patient:innen mit neumanifestiertem Diabetes in der Altersgruppe >50 entwickeln in den folgenden 3 Jahren ein Pankreaskarzinom – deutlich mehr als in der Allgemeinbevölkerung. Dieses Risiko ist zwar immer noch relativ niedrig, aber hoch genug, dass Forschungsgruppen versuchen, innerhalb der großen Gruppe der Diabetes-Neupatienten diejenigen mit Tumor zu erkennen (z.B. durch Algorithmen, die Gewichtsverlust, Tumormarker oder klinische Auffälligkeiten berücksichtigen). New-onset Diabetes gilt als wichtiger Kandidat für ein Screening: In Studien konnte die Überwachung dieser Personen tatsächlich einige Tumoren in einem frühen, asymptomatischen Stadium aufdecken.

Darüber hinaus erhöhen auch chronische Pankreatitis, Rauchen, Adipositas und höheres Alter das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs, doch sind diese Faktoren weniger spezifisch und daher für gezielte Screeningprogramme weniger geeignet (bzw. nur in Kombination mit obigen Hauptfaktoren).

Durch die Fokussierung auf Hochrisikogruppen lässt sich die Effizienz der Früherkennung deutlich steigern: In einer multizentrischen Studie lag die 5-Jahres-Überlebensrate von Pankreaskrebs-Patienten, die im Rahmen eines Screening-Programms entdeckt wurden, bei über 73 %, mit einer medianen Überlebenszeit von 9,8 Jahren, verglichen mit nur ~1,5 Jahren Medianüberleben bei symptomatisch diagnostizierten Patienten ohne Vorsorge. Dies verdeutlicht eindrucksvoll, welches Potenzial in der Früherkennung steckt. In der klinischen Praxis werden Hochrisikopatient:innen meist jährlich mittels MRT/MRCP oder Endosonographie untersucht, teils in Kombination mit CA 19-9-Bestimmungen. KI könnte hier künftig unterstützen, etwa durch automatisierte Auswertung der Verlaufsbilder oder Einschätzung, wann eine entdeckte kleine Läsion verdächtig ist. Wichtig ist jedoch, dass Screening-Programme interdisziplinär erfolgen (Radiologie, Endoskopie, humangenetische Beratung etc.) und die Patienten in erfahrenen Zentren betreut werden, um Nutzen und Risiken (z.B. von Überbehandlung) abzuwägen.

Perspektiven: Longévité und personalisierte Therapie

Frühere Diagnose durch KI als Schlüssel zu längerer Überlebenszeit

Wie dargestellt, liegt der größte Hebel zur Verbesserung der Überlebenschancen beim Pankreaskarzinom in der Frühdiagnose. Jede Möglichkeit, den Tumor Monate oder gar Jahre früher zu entdecken, kann die Prognose dramatisch verändern. KI-basierte Ansätze könnten hier den Durchbruch bringen, indem sie mehr Patient:innen in ein früheres Stadium verschieben. Wenn z.B. durch ein KI-Screening-Tool doppelt so viele Betroffene im resezierbaren Stadium I/II diagnostiziert würden, statt erst in Stadium III/IV, hätte dies direkte Auswirkungen auf die Mortalität. Chirurgische Resektion im Frühstadium bietet die einzige Chance auf Heilung – und selbst wenn nicht alle früh entdeckten Tumoren heilbar sind, so verlängert eine frühzeitige Therapie doch in der Regel die Lebenszeit deutlich.

Die eindrucksvollen Ergebnisse von Screening-Studien in Hochrisikokollektiven (5-Jahres-Überleben >70 % bei Früherkennung) zeigen, was möglich ist, wenn Tumore klein und auf das Pankreas begrenzt entdeckt werden. KI könnte solche Erfolge skalierbarer machen, indem sie die richtigen Personen zur richtigen Zeit der Diagnostik zuführt. Längerfristig denkbar ist eine bevölkerungsweite Risikoprüfung im Hintergrund: Etwa analysiert eine KI routinemäßig Gesundheitsdaten (z.B. in elektronischen Akten oder sogar via Digital Health-Apps) und flaggt Personen mit auffälligem Profil, die dann eingeladen werden, ein MRT zu erhalten. Solche Visionen müssten mit Bedacht und ethischem Augenmaß umgesetzt werden, bieten aber die Chance, vielen Menschen ein längeres Leben zu ermöglichen, indem der Krebs früher gestellt wird.

Auch für bereits erkrankte Patienten kann KI indirekt die Lebenszeit verlängern helfen – nämlich durch Optimierung der Therapieentscheidungen. Prognostische KI-Modelle können das Rückfallrisiko oder die zu erwartende Lebenszeit individuell vorhersagen. Wenn ein Algorithmus z.B. erkennt, dass ein Patient trotz adjuvanter Chemotherapie eine hohe Wahrscheinlichkeit eines frühen Rezidivs hat, könnte man erwägen, ihn für Studien mit neuen Therapieansätzen zu berücksichtigen oder engmaschiger nachzuskontrollieren. Umgekehrt könnten Patienten mit günstigem Profil eventuell vor Übertherapie bewahrt werden. Die Überwachung unter Therapie lässt sich ebenfalls mit KI verbessern – etwa indem bildgebende Verlaufsuntersuchungen automatisiert ausgewertet werden (Radiomics kann subtile Veränderungen im Tumor frühzeitig anzeigen, die auf Ansprechen oder Progress hinweisen). Dadurch könnte man non-responder früher identifizieren und das Therapiekonzept wechseln, anstatt kostbare Zeit mit einer unwirksamen Behandlung zu verlieren.

Nicht zuletzt eröffnet die frühzeitige Diagnose die Tür zu neuen Therapieoptionen: In sehr frühen Stadien denkt man z.B. über neoadjuvante Immuntherapien oder präneoplastische Interventionen nach, die im metastasierten Stadium wirkungslos wären. KI könnte helfen, solche Strategien zu entwickeln, indem sie Muster bei Langzeitüberlebenden analysiert oder Merkmale identifiziert, die besonders ansprechende Subgruppen kennzeichnen.

Prädiktive KI-Modelle in personalisierter Prävention und Therapie

Neben der reinen Diagnose spielt KI auch in der Vorhersage und Steuerung der Therapie eine wachsende Rolle. Unter personalisierter Medizin versteht man, dass jede:r Patient:in die für ihn oder sie optimale Behandlung zur richtigen Zeit erhält – je nach individuellem Tumorprofil und Risiko. KI kann hier auf mehreren Ebenen unterstützen:

  • Therapieansprechen vorhersagen: Bereits jetzt werden Algorithmen entwickelt, die anhand von Tumordaten prognostizieren, wie wahrscheinlich ein Ansprechen auf bestimmte Chemotherapeutika oder zielgerichtete Medikamente ist. Beispielsweise könnte ein KI-Modell Genexpressionsmuster oder histologische Besonderheiten auswerten und vorhersagen, ob ein Patient von FOLFIRINOX vs. Gemcitabin eher profitiert. Solche Modelle könnten Ärzten helfen, die Therapiewahl zu individualisieren, indem sie eine evidenzbasierte Einschätzung liefern, welcher Weg erfolgversprechender ist. In Zukunft ist denkbar, dass molekulare Tumorboards KI-Systeme einsetzen, die Millionen Datenpunkte (Mutationen, Genaktivitäten, Vergleich mit Kollektiven) berücksichtigen, um für einen gegebenen Patienten die beste Option (oder eine klinische Studie) auszuwählen.
  • Molekulare Zielstrukturen und neue Therapieansätze: Die rasant wachsenden Omics-Daten (Genomik, Proteomik, etc.) aus Pankreastumoren sind ein Schatz, um neue Therapieansatzpunkte zu finden. KI-Methoden durchforsten diese komplexen Datensätze nach Mustern. So können z.B. bestimmte Genmutationen oder Expression-Signaturen identifiziert werden, die eine vulnerable Achillesferse des Tumors darstellen. Ein Beispiel ist die Suche nach DNA-Reparaturdefekten (z.B. HRD durch BRCA-Mutationen) via KI, um Patient:innen für eine PARP-Inhibitor-Therapie auszuwählen. Auch die Klassifikation von Tumoren in molekulare Subtypen mit prognostischer und therapeutischer Relevanz (z.B. “basal-like” vs. “classical” PDAC) kann mittels maschinellen Lernens an Hand von Genprofilen durchgeführt werden. Durch solche Analysen lassen sich maßgeschneiderte Präventionsstrategien (etwa prophylaktische Operation bei hohen Mutationsrisiken) oder Therapien (gezielte Inhibition bestimmter Signalwege) entwickeln.
  • Prognoseabschätzung und Verlaufsmodellierung: KI kann komplexe Prognosemodelle erstellen, die zahlreiche Parameter einbeziehen – Tumorstadium, Biomarker, Komorbiditäten, Therapie, genomische Alterationen usw. Das ermöglicht genauere Aussagen über den individuellen Verlauf. Ein Algorithmus könnte z.B. die Wahrscheinlichkeit eines 2-Jahres-Überlebens oder das Risiko für Lebermetastasen berechnen. Solche Informationen sind wichtig für die Planung von Nachsorge und Therapieintensität. In einer Studie wurde sogar ein Modell entwickelt, das die Überlebenszeit der Patienten vorhersagen sollte. Zwar sind solche Anwendungen noch experimentell, doch sie zeigen die Richtung: KI könnte Ärzten helfen, Patienten besser über die eigene Prognose aufzuklären und entsprechend zu begleiten (z.B. frühzeitige Palliativmaßnahmen einleiten bei sehr schlechter Prognose).
  • Personalisierte Prävention: Abseits der onkologischen Klinik könnte KI künftig auch in der Allgemeinbevölkerung präventiv tätig werden. Ein Beispiel wäre eine Smartphone-App, die das Gesundheitsverhalten trackt und durch KI-Analysen individuelles Risikoverhalten erkennt – z.B. warnt ein Algorithmus einen Prädiabetiker, dass seine aktuelle Gewichtsentwicklung, Ernährungs- und Rauchgewohnheiten in Kombination sein Pankreaskrebs-Risiko steigern, und empfiehlt Maßnahmen. Solche personifizierten Präventionsprogramme könnten die Inzidenz der Erkrankung senken, indem sie gezielt dort ansetzen, wo eine Änderung den größten Effekt verspricht. Denkbar ist auch, dass KI anhand genetischer Profile jene identifiziert, die von bestimmten Chemopräventions-Strategien (sofern es diese eines Tages gibt) profitieren würden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass KI einen wichtigen Beitrag zur personalisierten Medizin beim Pankreaskarzinom leisten kann. Sie unterstützt dabei, aus der enormen Komplexität der Tumorbiologie und Patientenheterogenität klare, handlungsrelevante Informationen abzuleiten – sei es zur besseren Prävention, zur individuellen Therapiewahl oder zur genaueren Verlaufsprognose.

Herausforderungen bei der Implementierung von KI im Klinikalltag

Bei aller Begeisterung für KI dürfen die praktischen Hürden und Grenzen nicht übersehen werden. Die Integration von KI-Systemen in den klinischen Alltag der Onkologie ist mit diversen technischen, ethischen und infrastrukturellen Herausforderungen verbunden:

Technische und methodische Hürden

Eine zentrale Voraussetzung für performante KI-Modelle sind große, repräsentative Datensätze. In der Realität stehen jedoch häufig nur vergleichsweise kleine Trainingsdaten zur Verfügung – beispielsweise wenige hundert CT-Scans aus einem Zentrum – was die Verallgemeinerungsfähigkeit einschränkt. KI-Modelle, die an zu kleinen oder einseitigen Daten gelernt haben, tendieren zu Overfitting: Sie funktionieren scheinbar exzellent auf dem Trainingsdatensatz, versagen aber in der Praxis an neuen Patientenbildern. Um robuste KI-Anwendungen zu entwickeln, müssen also multizentrische Daten aus verschiedenen Regionen und Geräten zusammengeführt werden. Erste Initiativen wie die Alliance of Pancreatic Cancer Consortia Imaging sammeln deshalb bereits Bilddaten und stellen sie als gemeinsame Ressource zur Verfügung. Nur so lassen sich Algorithmen trainieren, die im allgemeinen Klinikbetrieb zuverlässig arbeiten.

Datenqualität ist ein weiterer Punkt: Die schönsten Algorithmen nützen wenig, wenn die Eingabedaten (Bilder, Videos, Laborwerte) von schlechter Qualität sind. Im realen Klinikalltag gibt es jedoch viele Störfaktoren – unscharfe oder bewegungsartefakt-behaftete Bilder, unterschiedliche Protokolle, Artefakte durch Implantate, unvollständige oder fehlerhafte Dokumentationen in Akten etc. Ein KI-Modell muss lernen, mit dieser Variabilität umzugehen, sonst liefert es inkonsistente Ergebnisse. Frühere Ansätze funktionierten oft nur auf idealen hochauflösenden Bildern, versagten aber bei verrauschten oder suboptimalen Aufnahmen. Künftig gilt es, die Modelle robuster zu machen, z.B. durch Training mit augmentierten Daten (die absichtlich Rauschen, Unschärfe, unterschiedliche Kontraste einbringen). Auch Standardisierungsinitiativen – etwa einheitliche Protokolle für Bildgebung in Screeningprogrammen – können helfen, die Eingabedaten homogener zu gestalten.

Ein heikles Problem sind Fehlalarme (False Positives, FP) und übersehene Befunde (False Negatives, FN). Im Kontext KI heißt das: Der Algorithmus markiert etwas als „Tumor“, was keiner ist (FP), oder er übersieht tatsächlich vorhandene Tumoren (FN). Beide Fehler sind kritisch: Falsch-positive KI-Ergebnisse können eine Kaskade unnötiger Untersuchungen oder Eingriffe nach sich ziehen (Biopsien, Operationen) und Patient:innen verunsichern. Falsch-negative Ergebnisse hingegen wiegen noch fataler, da ein Tumor fälschlich als „nicht vorhanden“ eingestuft wird und kostbare Zeit bis zur richtigen Diagnose verloren geht. Aktuell fehlt es an einheitlichen Standards, wie FP/FN-Raten zu definieren und zu minimieren sind. Manchmal hat ein Algorithmus sehr viele Parameter „im Blindflug“ optimiert, sodass gar nicht offensichtlich ist, warum er sich geirrt hat – Verbesserungen werden dann zum Rätselraten. Besonders bei seltenen Tumoren wie dem Pankreaskarzinom ist die geringe Datenbasis ein Grund für FNs: Das System sieht zu wenige Beispiele, um alle Erscheinungsformen zu lernen. Lösungen könnten in Ensemble-Methoden liegen (Kombination mehrerer Modelle zur Kreuzvalidierung) oder in aktiver Einbindung von Expertenfeedback, um Fehlklassifikationen gezielt zu korrigieren. Bis solche Mechanismen ausgereift sind, müssen KI-Befunde in der Klinik immer mit gesundem Menschenverstand gegengeprüft werden. Ein Computer-assistiertes Diagnosesystem (CAD) soll den Arzt unterstützen, aber nicht ersetzen. Gerade die Balance zwischen Empfindlichkeit und Spezifität muss im klinischen Kontext sorgfältig justiert werden, um Nutzen zu bringen.

Ethische und rechtliche Aspekte

Die Einführung von KI in der Onkologie wirft wichtige ethische Fragen auf. Zum einen geht es um den Umgang mit sensiblen Patientendaten. KI-Modelle benötigen enorme Datenmengen – häufig Patientendaten aus verschiedenen Einrichtungen. Hier müssen strenge Datenschutzstandards gelten: Patient Privacy ist oberstes Gebot, und alle beteiligten Institutionen haben die Verantwortung, Daten vor Hackerangriffen oder Missbrauch zu schützen. Anonymisierung und sichere Infrastrukturen (z.B. föderiertes Lernen ohne Austausch der Rohdaten) sind daher essenziell, um das Vertrauen von Patienten und Öffentlichkeit nicht zu verspielen.

Ein weiteres Thema ist die Bias-Problematik: Wenn die Trainingsdaten nicht repräsentativ sind, kann die KI systematische Verzerrungen aufweisen. Beispielsweise könnten Algorithmen, die überwiegend an Daten von hellhäutigen Männern trainiert wurden, bei Frauen oder anderen Ethnien schlechtere Leistungen zeigen – schlicht weil die Unterschiede (etwa im Genom, in der Bildgebung oder im Krankheitsverlauf) „ignoriert“ werden. Solche versteckten Biases hat man in der KI-Medizin bereits beobachtet und sie können zu einer Benachteiligung bestimmter Gruppen führen. Ethik gebietet hier, Vielfalt im Training sicherzustellen und Ergebnisse regelmäßig zu prüfen, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden. Auch sollten Ärzte sensibilisiert sein, KI-Ausgaben kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn sie nicht zum klinischen Bild passen.

Haftungsfragen stellen ein noch ungeklärtes Feld dar: Wer trägt die Verantwortung, wenn eine KI-basierte Entscheidung falsch ist und dem Patienten schadet? Der Arzt, der das System verwendet hat? Der Hersteller/Programmierer des Algorithmus? Oder niemand, weil es „nur ein Assistenztool“ war? Aktuell existiert hier eine Grauzone. Bis KI ein integraler und autonomer Teil der Diagnosekette wird, müssen Regulatoren klare Leitlinien schaffen, wie mit solchen Fällen umzugehen ist. Denkbar sind Zertifizierungen analog zu Medizinprodukten und ein „haftungsbeschränkter“ Einsatz (der Arzt bleibt letztverantwortlich). Solange die Rechtslage unklar ist, könnte die Zurückhaltung bei Anwendern groß bleiben, weil man im Zweifel niemanden hat, auf den man zeigen kann.

Schließlich gibt es das ethische Prinzip der Gerechtigkeit: High-Tech-KI darf nicht nur einzelnen Zentren oder privilegierten Patienten zugutekommen. Schon jetzt besteht zwischen großen onkologischen Zentren und kleineren Häusern ein Gefälle in Diagnosemöglichkeiten. KI-Systeme sind teuer in Entwicklung und Implementierung, was die Gefahr birgt, dass gut ausgestattete Kliniken weit vorausziehen. Es muss darauf geachtet werden, dass der Fortschritt allen Patienten zugutekommt – z.B. durch offene Forschungskollaborationen, Publikation der Erkenntnisse und vielleicht auch durch zentral verfügbare, validierte KI-Services, die kleinere Kliniken nutzen können. Gesundheitsökonomisch stellt sich zudem die Frage nach der Kostenübernahme: Wer bezahlt KI-Screening-Programme oder die teure IT-Infrastruktur? Hier sind Kostenträger, Politik und Industrie gefragt, um einen gerechten Zugang zu ermöglichen.

Last but not least: Akzeptanz und Transparenz. Viele Ärzte stehen KI noch skeptisch gegenüber – teils aus Sorge, sie könnten die „Black Box“ nicht verstehen. In der Tat sind Deep-Learning-Modelle oft schwer erklärbar (Stichwort Explainable AI). Es muss daher daran gearbeitet werden, dass KI-Tools nachvollziehbare Entscheidungsgrundlagen liefern oder zumindest ihre Sicherheit in klinischen Studien unter Beweis stellen. Nur wenn die behandelnden Ärzt:innen Vertrauen in ein System haben, werden sie es einsetzen. Die ethische Dimension hierbei ist, dass menschliche Expertise nicht verdrängt, sondern erweitert werden soll. KI sollte als Werkzeug verstanden werden, nicht als Ersatz für den Onkologen. Dieses Verständnis zu fördern ist Teil der Implementierungsarbeit – durch Training der Anwender, interdisziplinären Dialog und Berücksichtigung der Sorgen von Medizinern wie Patienten.

Infrastrukturelle und praktische Herausforderungen

Neben Daten- und Ethikthemen sind ganz praktische Infrastruktur-Fragen zu lösen, um KI in der Klinik laufen zu lassen. Hochentwickelte Algorithmen erfordern erhebliche Rechenkapazitäten und IT-Ressourcen. Viele Krankenhäuser sind derzeit nicht darauf ausgelegt, Petabytes von Bilddaten zu bewegen oder komplexe neuronale Netze im Hintergrund arbeiten zu lassen. Es braucht also Investitionen in Hardware (Server, Speichersysteme, ggf. Cloud-Anbindungen) und in Software-Integrationen. KI muss in die bestehenden Klinik-IT-Systeme (PACS, KIS etc.) nahtlos eingebunden werden, sonst bleibt sie Spielerei im Forschungslabor. Die Entwickler stehen vor der Aufgabe, Schnittstellen zu schaffen, damit ein Radiologe z.B. per Knopfdruck in seiner gewohnten Befundsoftware eine KI-Analyse starten kann, ohne umständlich Daten exportieren und importieren zu müssen.

Ein weiteres Infrastrukturelement ist die Standardisierung und Validierung. Um KI-Tools regulatorisch zuzulassen (etwa durch FDA oder EMA), sind rigorose prospektive Studien erforderlich. Viele der bisherigen KI-Erfolge zum Pankreaskarzinom stammen aus retrospektiven Analysen oder Machbarkeitsstudien. Bevor ein KI-System zum Beispiel als offizielles „Screening-Programm“ empfohlen werden kann, muss es in kontrollierten Studien zeigen, dass es die Frühdiagnose in der breiten Anwendung verbessert, ohne mehr Schaden als Nutzen zu stiften. Solche Studien sind logistisch aufwändig und erfordern Zusammenarbeit vieler Zentren – was wieder auf Infrastruktur und Kooperation zurückfällt. Positiv ist, dass es bereits internationale Konsortien gibt (z.B. im Rahmen der Kenner Family Research Fund Initiativen), die genau solche Multi-Stakeholder-Kooperationen fördern. Strategische Kollaboration zwischen Kliniken, Forschung, Industrie und Kostenträgern wird entscheidend sein, um KI erfolgreich vom Pilotprojekt in den Versorgungsalltag zu überführen. Nur mit entsprechenden Fördermitteln und einer koordinierten Agenda lassen sich die notwendigen großen Datensätze und prospektiven Studien stemmen.

Schließlich muss auch der Workflow in der Klinik angepasst werden: Wer betreut die KI, wer wartet sie, wer schult das Personal? Möglicherweise entstehen neue Berufsbilder an der Schnittstelle von Medizin und Informatik (z.B. Klinische Datenwissenschaftler). Ärzte und Pflegepersonal müssen mit den neuen Tools umgehen lernen – das erfordert Zeit und Training. Wenn z.B. ein Alarmsignal vom KI-Früherkennungssystem kommt („Achtung, hoher Pankreaskrebs-Risikopatient“), braucht es klare Protokolle, wie damit umzugehen ist. Ohne solche Prozesse könnte KI sogar Chaos stiften (z.B. wenn unklar ist, wer die Verantwortung übernimmt oder wie Patienten aufgeklärt werden über KI-Ergebnisse). Ein durchdachtes Change-Management ist daher Teil der Implementierung: Die Abläufe vom Dateninput bis zur Aktion auf ein KI-Resultat müssen definiert sein.

Trotz dieser Herausforderungen sind die meisten Expert:innen zuversichtlich, dass sich KI im Bereich des Pankreaskarzinoms durchsetzen wird. Die Vorteile – von schnelleren Diagnosen bis zu personalisierteren Therapien – sind zu groß, um darauf zu verzichten. Es wird jedoch einen koordinierten, verantwortungsvollen Einsatz erfordern. Technik, Klinik und Ethik müssen Hand in Hand gehen, damit KI tatsächlich hilft, eines der tödlichsten Tumorleiden unserer Zeit besser in den Griff zu bekommen. Gelingt dies, könnte in Zukunft die Diagnose Pankreaskarzinom deutlich weniger häufig ein Todesurteil bedeuten, als es heute der Fall ist. Die Vision ist klar: KI nicht als Allheilmittel, aber als mächtiger Verbündeter im Kampf gegen das Pankreaskarzinom – von der Prävention über die Früherkennung bis hin zur Therapieoptimierung – zum Nutzen der Patient:innen.

Fazit: Für klinisch tätige Onkolog:innen lohnt es sich, die Entwicklungen im Bereich KI aufmerksam zu verfolgen. Zwar stehen wir noch am Anfang und müssen kritisch abwägen, doch in den nächsten Jahren könnten KI-Tools Einzug in unsere Praxis halten – sei es als Entscheidungshilfe bei unklaren Befunden, als Screeninginstrument für Risikogruppen oder als Prognose-Rechner. Wichtig ist, dass wir als Ärzt:innen diesen Prozess mitgestalten, unsere klinische Expertise einbringen und dafür sorgen, dass die Technik uns dient – und nicht umgekehrt. Mit der richtigen Balance können wir die Stärken von Mensch und Maschine kombinieren, um das scheinbar Unbezwingbare, den „stummen Killer“ Pankreaskrebs, früher zu erkennen und effektiver zu bekämpfen. Künstliche Intelligenz bietet hier eine echte Chance auf Longévité – eine verlängerte Lebenszeit – für unsere Patientinnen und Patienten.

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