Ein unterschätzter Biomarker rückt ins Zentrum der Prävention
In der modernen Präventions- und Longevity-Medizin rücken Parameter in den Fokus, die frühzeitig auf Krankheitsrisiken hinweisen und gleichzeitig therapeutisch beeinflussbar sind. Einer dieser Schlüsselmarker ist das Homocystein, eine schwefelhaltige Aminosäure, die als Zwischenprodukt im Methioninstoffwechsel entsteht. Die Bedeutung von Homocystein reicht weit über den Status eines bloßen Krankheitsmarkers hinaus – es wird zunehmend als Wegweiser zur Prävention verstanden.
Homocystein als Biomarker für mehr als 100 Krankheiten
Laut einer umfassenden Übersichtsarbeit von Smith und Refsum (2021) sind erhöhte Homocysteinwerte mit über 100 Erkrankungen assoziiert. Besonders häufig finden sich Verbindungen zu:
- kardiovaskulären Erkrankungen (z. B. Myokardinfarkt, Schlaganfall, arterielle Hypertonie)
- neurodegenerativen Erkrankungen (z. B. Alzheimer-Demenz, kognitive Beeinträchtigung)
- degenerativen Augenerkrankungen (z. B. altersbedingte Makuladegeneration)
- Knochenerkrankungen, Krebs, Stoffwechselerkrankungen und vielem mehr.
In keinem anderen Biomarker zeigt sich eine derart breite Assoziation mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern.
Von der Assoziation zur Prävention: der therapeutische Nutzen
Besonders interessant wird Homocystein aus Sicht der Longevity-Medizin, da sich erhöhte Werte durch gezielte Supplementierung mit B-Vitaminen (Folsäure, B6, B12, B2) signifikant senken lassen. Studien belegen, dass folgende Erkrankungen zumindest teilweise durch die Senkung von Homocystein verhindert werden können:
- Neuralrohrdefekte (durch präkonzeptionelle Folsäuregabe)
- Beeinträchtigung der kindlichen Kognition
- Altersbedingte Makuladegeneration
- Primärer Schlaganfall
- Kognitive Beeinträchtigung im Alter.
In der berühmten China Stroke Primary Prevention Trial (CSPPT) konnte eine 21%ige Reduktion des Schlaganfallrisikos bei Patienten mit Hypertonie nach Folsäure-Supplementierung gezeigt werden. Insbesondere bei Patienten mit niedrigen Ausgangs-Folatwerten oder erhöhtem Homocystein war der Effekt noch ausgeprägter.
Wo liegen die Grenzwerte?
Nach aktueller Evidenz gelten Homocysteinwerte unter 10 µmol/L als sicher, während Werte ab 11 µmol/L eine therapeutische Intervention rechtfertigen können. Dies eröffnet große Chancen für das individuelle Longevity-Management: Bereits geringfügige Erhöhungen könnten als Warnsignal für silent disease Prozesse gedeutet und präventiv adressiert werden.
Pathophysiologie: Warum ist Homocystein gefährlich?
Homocystein wirkt unter anderem:
- pro-oxidativ
- endothelial schädigend
- prothrombotisch
- fördert die Bildung von Mikroentzündungen und Proteinfehlfaltungen (z. B. Homocysteinylierung von Tau-Protein bei Alzheimer).
Damit steht es im Zentrum vieler Alterungs- und Krankheitsprozesse.
Ein wertvolles Werkzeug für die Longevity-Praxis
In der praktischen Umsetzung sollte die Bestimmung von Homocystein als Bestandteil eines erweiterten Longevity-Check-ups etabliert werden. Besonders bei Risikogruppen wie:
- älteren Patienten
- Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen
- Patienten mit neurokognitiven Symptomen
- Personen mit B-Vitamin-Mangelzuständen (z. B. Vegetarier/Veganer, Senioren).
Eine frühzeitige Intervention kann nicht nur das Erkrankungsrisiko senken, sondern auch die gesunde Lebensspanne verlängern.
Fazit
Die Messung des Homocysteinspiegels bietet in der präventiven und Longevity-orientierten Medizin einen wichtigen Ankerpunkt. In Kombination mit gezielter Supplementierung lässt sich das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen effektiv senken. Homocystein ist mehr als ein Biomarker – es ist ein praktischer Wegweiser für Krankheitsprävention und gesunde Alterung.
