Krebsvorsorge genießt hohes Ansehen – verständlich, denn wer möchte nicht „rechtzeitig“ erfahren, ob er schwer krank ist? Doch das niederländische Gutachten „Iedereen bijna ziek“ zeigt, dass auch hier Vorsicht geboten ist: Screening rettet Leben – aber nicht in jedem Fall, und nicht ohne Nebenwirkungen.
🎯 Früherkennung ist nicht automatisch besser
Viele glauben: Wenn ein Tumor früh entdeckt wird, steigt die Überlebenschance. Doch die Realität ist komplexer. Die sogenannte Lead-Time-Bias verzerrt die Statistik: Ein früher erkannter Tumor verlängert scheinbar das Überleben – obwohl die Lebenszeit gar nicht verlängert wurde, sondern nur früher die Diagnose gestellt wurde. Auch die Length-Time-Bias ist trügerisch: Langsam wachsende, oft harmlose Tumoren werden durch Screening häufiger entdeckt als aggressive – diese „schlüpfen durch das Raster“.
⚠️ Überdiagnose bei Krebs: Eine stille Epidemie?
Das Gutachten verweist auf Studien, die zeigen: Viele Tumoren, etwa in Brust oder Prostata, wären nie symptomatisch geworden. Dennoch führen sie – einmal entdeckt – zu belastenden Behandlungen. Man spricht von Überdiagnosen. Besonders bei Prostatakrebs ist dies bekannt: Viele Männer sterben mit, nicht an der Krankheit. Trotzdem drohen ihnen Operationen, Inkontinenz oder Impotenz – Folgen einer Diagnose, die keine war.
🧪 Falsch-positive Befunde und psychische Belastung
Ein weiteres Problem: Falsch-positive Tests. Bei Brustkrebs etwa wird mehr als 70 % der Frauen mit auffälligem Befund nach Screening unnötig beunruhigt. Sie durchlaufen Biopsien, Wartezeiten, Ängste – nur um am Ende zu hören: kein Krebs. Diese psychischen Belastungen sind real und langfristig spürbar.
📉 Der gesellschaftliche Preis
Neben den individuellen Folgen betont der Bericht auch die gesundheitspolitische Dimension: Screening-Programme kosten Milliarden – Geld und Personal, das anderswo fehlt. Gleichzeitig verdrängen sie andere Gesundheitsprobleme, etwa soziale Ursachen von Krankheit, in den Hintergrund.
Was tun? Empfehlungen aus den Niederlanden
Der RVS fordert:
- Bessere Aufklärung der Bevölkerung über Nutzen und Risiken von Krebs-Screenings
- Keine neuen Screenings ohne solide Beweise für den tatsächlichen Nutzen
- Stärkere Gewichtung von Lebensqualität statt nur Überlebenszeit
- Mehr Forschung zu Überdiagnosen und zur psychischen Belastung durch Screening
Fazit: Screening kann Leben retten – aber nur, wenn es gezielt, informiert und verantwortungsvoll eingesetzt wird. Sonst droht eine Entwicklung, in der wir gesunde Menschen zu Patienten machen und dabei mehr schaden als helfen.
