
In der modernen Onkologie stehen klinische Endpunkte wie das Gesamtüberleben im Mittelpunkt, da sie die Ergebnisse direkt messen, die für Patienten von Bedeutung sind. Im Gegensatz dazu sind Surrogatendpunkte, wie Tumorschrumpfung oder bestimmte Blutwerte, Stellvertreter, die häufig in klinischen Studien zur Bewertung neuer Krebstherapien verwendet werden. Diese Surrogate bieten oft den Vorteil, schneller Ergebnisse zu liefern, sind jedoch nicht ohne Probleme. Die folgende Diskussion wirft einen kritischen Blick auf den Einsatz dieser Surrogate in der Krebsforschung und deren Auswirkungen auf die tägliche klinische Praxis.
Was sind Surrogatendpunkte?
Surrogatendpunkte sind indirekte Maße, die als Ersatz für klinisch bedeutende Ergebnisse dienen. Beispiele umfassen die Tumorschrumpfungsrate (Response Rate, RR), minimale Resterkrankung (Minimal Residual Disease, MRD) und das progressionsfreie Überleben (Progression-Free Survival, PFS). Obwohl diese Messgrößen in der klinischen Forschung zunehmend genutzt werden, um die Wirksamkeit von Krebstherapien zu bewerten und die Zulassung neuer Medikamente zu beschleunigen, gibt es oft nur eine mäßige bis geringe Korrelation zwischen Verbesserungen dieser Surrogate und einem tatsächlichen Überlebensvorteil für Patienten.
Warum sind Surrogatendpunkte problematisch?
Eine zentrale Herausforderung bei der Verwendung von Surrogatendpunkten besteht darin, dass diese nicht immer mit den Ergebnissen übereinstimmen, die für Patienten von Bedeutung sind. Eine Tumorschrumpfung beispielsweise mag zeigen, dass ein Medikament gegen den Tumor wirkt, garantiert jedoch nicht, dass der Patient länger oder besser lebt. Dies führt zu Unsicherheiten darüber, ob der tatsächliche Nutzen eines Medikaments mit dem in den Studien gemessenen Surrogatendpunkt übereinstimmt.
In einer aktuellen Analyse zeigten Studien, dass der Zusammenhang zwischen Surrogatendpunkten wie PFS und dem Gesamtüberleben häufig moderat bis schwach ist. Dies bedeutet, dass selbst wenn ein Medikament das progressionsfreie Überleben verlängert, dies nicht unbedingt eine Verbesserung des Gesamtüberlebens oder der Lebensqualität nach sich zieht.
Beispiel: Tumorschrumpfung und klinische Wirksamkeit
Ein Beispiel für die Herausforderung der Tumorschrumpfungsrate als Surrogatendpunkt ist die Geschichte des Medikaments Tositumomab. Tositumomab zeigte in frühen Studien eine hohe Tumorschrumpfungsrate und erhielt daher eine Zulassung, doch spätere Studien konnten keinen signifikanten Überlebensvorteil nachweisen. Dies führte schließlich zur Marktrücknahme des Medikaments.
Dieses Beispiel unterstreicht, dass hohe Ansprechraten zwar vielversprechend sein können, jedoch nicht immer zu einer tatsächlichen Verbesserung der klinischen Ergebnisse führen. Für praktizierende Ärzte bedeutet dies, dass selbst hochaktive Medikamente, die in frühen Studien beeindruckende Ergebnisse erzielen, nicht zwangsläufig die Überlebenszeit der Patienten verlängern.
Das progressionsfreie Überleben und seine Tücken
Das progressionsfreie Überleben (PFS) ist ein weiteres Surrogat, das häufig als primärer Endpunkt in klinischen Studien verwendet wird. Das Problem besteht darin, dass ein verlängertes PFS nicht immer eine Verbesserung der Lebensqualität oder des Gesamtüberlebens bedeutet. In einigen Fällen kann eine Therapie, die das PFS verlängert, mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein, ohne dass die Patienten wirklich davon profitieren.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Definition von «Progression» oft willkürlich ist, wie z. B. eine Tumorzunahme von mehr als 20 % im Durchmesser. Diese Messgröße ist jedoch oft nicht direkt mit dem Wohlbefinden des Patienten verbunden. Ein Patient, dessen Tumor um 19 % wächst, fühlt sich möglicherweise genauso gut oder schlecht wie ein Patient, dessen Tumor um 21 % gewachsen ist. Diese Diskrepanz zeigt, dass die Verwendung von PFS als Entscheidungshilfe für die Therapieanpassung in der Praxis oft fragwürdig ist.
Auswirkungen auf die klinische Praxis
Die Nutzung von Surrogatendpunkten in der klinischen Forschung hat auch erhebliche Auswirkungen auf die klinische Praxis. Wenn Mediziner ihre Therapieentscheidungen auf Basis von Surrogaten treffen, ohne dass gesicherte Daten über das tatsächliche Überleben oder die Lebensqualität vorliegen, besteht das Risiko, dass Patienten unnötig belastende Therapien erhalten. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen neue Medikamente aufgrund von Surrogatdaten zugelassen werden, die langfristigen Überlebensdaten jedoch fehlen.
Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von ctDNA (zirkulierende Tumor-DNA) im adjuvanten Umfeld von Darmkrebs. Während ctDNA ein prognostischer Marker ist, bleibt unklar, ob dessen Verwendung tatsächlich zu einer besseren Auswahl der Patienten führt, die von einer Chemotherapie profitieren könnten. Es besteht die Gefahr, dass ctDNA in der Praxis zusätzlich zu konventionellen klinischen Parametern verwendet wird, was letztlich zu einer Übertherapie und mehr Nebenwirkungen führen könnte.
Fazit
Die Verwendung von Surrogatendpunkten in der Onkologie ist weit verbreitet, und ihre Vorteile – insbesondere in Bezug auf eine schnellere Zulassung neuer Medikamente – sind unbestreitbar. Doch sind diese Surrogate nicht ohne Risiken und haben oft nur eine begrenzte Aussagekraft hinsichtlich des tatsächlichen Überlebens oder der Lebensqualität der Patienten. Onkologen sollten sich dieser Einschränkungen bewusst sein und Surrogatdaten stets kritisch hinterfragen, bevor sie diese als Grundlage für Therapieentscheidungen nutzen.
Eine sorgfältige Bewertung der Studien, die auf Surrogaten basieren, sowie der potenziellen Risiken und Vorteile für die Patienten sollte immer Teil des Entscheidungsprozesses in der Onkologie sein. Am Ende des Tages muss das Wohl des Patienten und die Verbesserung seiner Lebensqualität an erster Stelle stehen, und das bedeutet, dass wir als Kliniker die Grenzen der Surrogate genau kennen und entsprechend handeln sollten.
