COVID-19 und Testosteron: Von Korrelation zur Kausalität – was wir heute wissen

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie ist klar geworden, dass SARS-CoV-2 nicht nur die Atemwege befällt, sondern ein multisystemisches Virus ist. Herz, Nieren, Gehirn – und auch das endokrine System können betroffen sein. Besonders in den Fokus gerückt ist in den letzten Jahren das männliche Hormonsystem, genauer gesagt das Testosteron. Drei aktuelle Publikationen liefern neue Erkenntnisse: eine systematische Übersichtsarbeit, eine genetische Kausalanalyse und eine immunologische Studie. Zusammengenommen ergeben sie ein differenziertes Bild, das für Männer nach einer Infektion klinisch bedeutsam ist.


1. SARS-CoV-2 und die männliche Reproduktionsfunktion

Die erste Arbeit, eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von 40 Studien, zeigt eindrücklich, dass COVID-19 deutliche Spuren an der männlichen Fertilität hinterlässt.

Zentrale Ergebnisse:

  • Semen-Parameter: Verringerung von Ejakulatvolumen, Spermienzahl, -konzentration, -motilität und -morphologie.
  • Hormone: Deutlich erniedrigte Testosteronwerte, dagegen ein Anstieg von Östrogen, Prolaktin und LH.
  • Mechanismus: Vermutlich hormonvermittelt, über eine gestörte Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse.
  • Langfristigkeit: Auch nach Therapie blieben Veränderungen teilweise bestehen, was auf mögliche Langzeitfolgen hinweist.

Damit wird klar: COVID-19 ist nicht nur eine Atemwegserkrankung, sondern auch ein Risikofaktor für männliche Infertilität.


2. Kausale Evidenz: Mendelian Randomization

Eine der zentralen Fragen lautet: Handelt es sich nur um eine Korrelation – oder ist der Zusammenhang tatsächlich ursächlich?

Hier liefert die zweite Studie Antworten. Mit Hilfe einer Mendelian Randomization (MR), also einer genetischen Kausalanalyse, konnte gezeigt werden:

  • Männer mit COVID-19 zeigen signifikant erniedrigte Serum-Testosteronspiegel (OR 0,966).
  • Gleichzeitig steigt das Risiko für erektile Dysfunktion (ED) nach Infektion signifikant an (OR 1,205).
  • Die Ergebnisse waren robust gegenüber Sensitivitätsanalysen.

Diese Arbeit ist deshalb so wichtig, weil sie methodisch Verzerrungen durch Lebensstilfaktoren oder Vorerkrankungen weitgehend ausschließt. Das bedeutet: COVID-19 senkt tatsächlich Testosteron – und erhöht das Risiko für sexuelle Funktionsstörungen.


3. Testosteron und die Immunantwort

Ein weiterer Aspekt: Welche Rolle spielt Testosteron für die Immunabwehr gegen SARS-CoV-2?

Eine aktuelle Studie aus Österreich untersuchte bei 861 Personen den Zusammenhang zwischen Hormonspiegeln und der Stärke der Antikörperantwort. Die wichtigsten Resultate:

  • Testosteron bei Männern korrelierte negativ mit SARS-CoV-2-spezifischen Antikörper-Titern.
  • DHEA zeigte hingegen eine positive Korrelation, Cortisol und Progesteron ebenfalls eher negative Zusammenhänge.
  • Diese Effekte waren geschlechtsspezifisch ausgeprägt.

Das bedeutet: Männer mit höheren Testosteronwerten entwickeln möglicherweise eine schwächere Antikörperantwort – was auch erklären könnte, warum Männer schwerer an COVID-19 erkranken und höhere Sterblichkeitsraten aufweisen.


4. Zusammenschau: Was sagen uns die drei Studien?

Die drei Arbeiten ergänzen sich zu einem klaren Bild:

  • COVID-19 senkt Testosteronwerte messbar.
  • Dieser Zusammenhang ist kausal und nicht nur Folge von Störfaktoren.
  • Niedriges Testosteron trägt zu Infertilität und erektile Dysfunktion bei.
  • Gleichzeitig beeinflusst Testosteron die Immunantwort – möglicherweise nachteilig für die Antikörperbildung.
  • Es gibt damit ein doppeltes Risiko: Zum einen für die reproduktive Gesundheit, zum anderen für die Immunabwehr.

5. Klinische Konsequenzen

Für die ärztliche Praxis ergeben sich konkrete Empfehlungen:

  • Hormonstatus nach COVID messen: Bei Männern mit Fatigue, Libidoverlust, Muskelschwäche oder ED sollte gezielt Testosteron bestimmt werden.
  • Fruchtbarkeit im Blick behalten: Unerfüllter Kinderwunsch nach Infektion könnte hormonell bedingt sein. Eine Spermaanalyse kann sinnvoll sein.
  • Testosterontherapie erwägen: Bei gesichertem Hypogonadismus und Symptomen kann eine Substitution in Erwägung gezogen werden – allerdings individualisiert und engmaschig überwacht.
  • Immunologische Aspekte beachten: Da Testosteron die Antikörperantwort dämpfen kann, könnten in Zukunft endokrinologische Profile in Impfstrategien einfließen.

Fazit

COVID-19 und Testosteron stehen in einem komplexen, aber immer klarer werdenden Zusammenhang. Das Virus kann direkt zu einem Abfall der Testosteronwerte führen, mit Folgen für Fertilität, Sexualfunktion und Immunabwehr. Diese Zusammenhänge sind nicht nur beobachtet, sondern auch genetisch abgesichert.

Für die Zukunft bedeutet das: Endokrinologische Nachsorge gehört zu einer ganzheitlichen Betreuung von Männern nach COVID-19. Gleichzeitig eröffnet das Wissen um die Rolle von Testosteron neue Perspektiven für personalisierte Impfungen, Prävention und Therapie.


👉 Damit lässt sich die Frage klar beantworten: Ja, es gibt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen COVID-19 und erniedrigtem Testosteron. Die Herausforderung liegt nun darin, die Konsequenzen für Männer gezielt zu erkennen und therapeutisch zu adressieren.

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