Zenocutuzumab: Ein tumoragnostischer Antikörper gegen NRG1-Fusionskrebserkrankungen

Einleitung: Die Herausforderung seltener Onkogene

Die personalisierte Onkologie ist auf dem Vormarsch – doch für viele Patienten mit seltenen genetischen Treibermutationen fehlen bislang wirksame Therapien. Eine dieser seltenen Aberrationen sind NRG1-Genfusionen, die in weniger als 1 % aller soliden Tumore vorkommen, jedoch häufig mit einem aggressiven Krankheitsverlauf assoziiert sind. Besonders betroffen sind Patienten mit KRAS-Wildtyp-Pankreaskarzinomen und invasiven muzinösen Adenokarzinomen der Lunge. Bis vor Kurzem galt diese Gruppe als therapeutisch schwer erreichbar – bis zur Entwicklung des bispezifischen Antikörpers Zenocutuzumab (Zeno).


Was ist Zenocutuzumab?

Zenocutuzumab (auch bekannt als MCLA-128) ist ein vollständig humanisierter bispezifischer IgG1-Antikörper, der gezielt die Rezeptoren HER2 und HER3 blockiert. Diese gehören zur ERBB-Familie von Rezeptor-Tyrosinkinasen, die bei vielen soliden Tumoren eine zentrale Rolle spielen.

Was Zenocutuzumab einzigartig macht, ist sein „Dock-and-Block“-Mechanismus:

  • Docking an HER2: Das HER2-Bindeelement verankert den Antikörper an der Tumorzelle.
  • Blockade von NRG1-HER3-Interaktion: Der HER3-bindende Arm verhindert die Bindung von NRG1-Fusionsliganden an HER3.
  • Inhibition der Dimerisierung: Die nachfolgende Heterodimerisierung von HER2/HER3 – notwendig für Signalweiterleitung – wird effektiv verhindert.
  • Zelluläre Wirkung: Zusätzlich fördert Zenocutuzumab die Antikörper-vermittelte zelluläre Zytotoxizität (ADCC) durch Fc-Afucosylierung.

NRG1-Fusionen: Der molekulare Kontext

Neuregulin-1-Fusionen (NRG1+) kodieren für chimäre Liganden, die das Wachstum von Tumoren über Aktivierung des HER3/HER2-Komplexes antreiben. Im Gegensatz zu bekannten Fusionsonkogenen (z. B. ALK, RET, ROS1), die chimäre Rezeptoren erzeugen, wirken NRG1-Fusionen als autokrine Liganden – und erschweren so die therapeutische Hemmung.

Zenocutuzumab wurde exakt für diese molekulare Konstellation entwickelt. Die Relevanz dieses Mechanismus wurde durch präklinische Daten aus patientenderivierten Zelllinien und Xenograft-Modellen eindrucksvoll belegt.


Präklinische Evidenz: Wirksamkeit in Modellen mit NRG1-Fusion

In präklinischen Studien blockierte Zenocutuzumab effektiv:

  • HER2/HER3-Phosphorylierung
  • Aktivierung von AKT, STAT3, ERK, mTOR
  • Tumorwachstum in Zelllinien und PDX-Modellen (Pankreas, Lunge, Ovar, Brust)

Dabei zeigte sich eine starke Selektivität: Nur Zelllinien mit aktiven NRG1-Fusionen reagierten empfindlich – mit IC50-Werten im subnanomolaren Bereich. In Mausmodellen führte Zenocutuzumab zu deutlicher Tumorregression ohne klinisch relevante Toxizität.


Klinische Studien: Ergebnisse der eNRGy-Studie

Die Phase-1/2-eNRGy-Studie, die in 49 Zentren weltweit durchgeführt wurde, untersuchte Zenocutuzumab bei Patienten mit fortgeschrittenen NRG1⁺-Tumoren (n = 204, davon 161 für Wirksamkeitsanalyse). Die Patienten erhielten 750 mg Zenocutuzumab i.v. alle 2 Wochen.

Wichtigste Ergebnisse:

  • Ansprechrate (ORR): 30 % (investigator-assessed)
  • Medianes progressionsfreies Überleben (PFS): 6,8 Monate
  • Dauer des Ansprechens: Median 11,1 Monate
  • Tumorarten mit klinischem Benefit:
    • NSCLC (ORR: 29 %, PFS: 6,8 Monate)
    • Pankreaskarzinom (ORR: 42 %, PFS: 9,2 Monate)
    • Cholangiokarzinom, Brust-, Magen-, Ovarialkarzinome (Einzelfälle)

In der Early Access Program-Kohorte zeigte sich eine vergleichbare Wirksamkeit mit 42 % Ansprechrate.


Sicherheit und Verträglichkeit

Zenocutuzumab zeigte ein ausgesprochen günstiges Sicherheitsprofil:

  • Die meisten Nebenwirkungen waren Grad 1–2 (v.a. Diarrhoe, Müdigkeit, Übelkeit)
  • Nur 1 % der Patienten brach die Therapie wegen Nebenwirkungen ab
  • Keine klinisch relevanten kardialen oder kutanen Toxizitäten
  • Immunogenität gering: Nur 5 % der Patienten entwickelten anti-drug-Antikörper

Im Vergleich zu HER2-TKIs oder pan-ERBB-Inhibitoren wie Afatinib war die Toxizität deutlich geringer.


Wirkung unabhängig vom Tumortyp: Tumoragnostisches Potenzial

Der größte Fortschritt liegt in der tumoragnostischen Anwendung: Zenocutuzumab wirkte unabhängig von:

  • Tumorhistologie
  • Fusionstyp (z. B. CD74-NRG1, ATP1B1-NRG1, SLC3A2-NRG1)
  • Vortherapien (z. B. Chemotherapie, Immuntherapie, Afatinib)

Somit hat Zenocutuzumab das Potenzial, die neunte tumoragnostische Therapie zu werden – ähnlich wie bereits für NTRK-, MSI-H- oder RET-Fusionstherapien zugelassene Substanzen.


Fazit: Ein neuer Standard für NRG1⁺ Krebsformen

Zenocutuzumab markiert einen Meilenstein in der Behandlung seltener genetisch definierter Krebserkrankungen:

✅ gezielte Hemmung eines bislang schwer erreichbaren Signalwegs
✅ tumorübergreifende Wirksamkeit
✅ günstiges Nebenwirkungsprofil
✅ rationale Kombination mit anderen zielgerichteten oder immunonkologischen Therapien denkbar

Die nächste Herausforderung: Breitere molekulare Testung auf NRG1-Fusionen, um Patienten frühzeitig identifizieren zu können, die von Zeno profitieren könnten.

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